Schwabenkinder

Buab, ma duat Di is Schwoobaland!

Diese Drohung war wohl vielen Kindern geläufig, wenn Sie von ihren Eltern Schelte erhielten. Doch was hatte es damit auf sich?

 

«Schwabenkinder» nannte man 6- bis 14-jährige Kinder aus armen Alpenregionen, die vom 17. bis 20. Jahrhundert alljährlich vom Frühling bis Herbst als landwirtschaftliche Arbeitskräfte nach Oberschwaben geschickt wurden.

 

Die Kinder zogen in Begleitung von Erwachsenen, lange Zeit zu Fuss, auf die Hütekindermärkte in Friedrichshafen und Ravensburg, wo sie für eine Saison als Arbeitskräfte an Bauern verdingt wurden.

 

Die Schwabenkinder mussten hart arbeiten, litten oft unter Heimweh und Sprachschwierigkeiten und blieben schulisch zurück. Bis in den Herbst hinein arbeiteten sie auf den Höfen der süddeutschen Bauern. Ihr Lohn bestand aus Kost und Logis, etwas Geld und neuer Kleidung. Im Spätherbst um Martini, den 11. November, kehrten sie wieder in ihre Dörfer und zu ihren Familien zurück.

Überregionales Ausstellungs- und Forschungsprojekt

Der Alte Pfarrhof ist seit 2011 der liechtensteinische Partner des überregionalen Projekts «Die Schwabenkinder», das vom Bauernhaus-Museum Allgäu-Oberschwaben Wolfegg initiiert wurde.

 

Dabei wurde überregional das Schicksal der Schwabenkinder erforscht, wissenschaftlich aufgearbeitet und jeweils vor Ort präsentiert. Nahezu 30 Museen, Kultureinrichtungen und Archive aus den Herkunftsgebieten der Schwabenkinder – Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und Italien – sowie der Dienstregion Deutschland nahmen am Projekt teil.

 

Weitere Resultate dieser Zusammenarbeit waren die Herausgabe des Sammelbandes «Die Schwabenkinder. Arbeit in der Fremde», in dem die aktuellsten Forschungsergebnisse zum Thema Schwabenkinder anschaulich zusammengefasst sind, sowie eine Schwabenkinder-Datenbank.

 

Ausserdem hat sich Autor und Wanderexperte Elmar Bereuter die ursprünglichen Marschrouten der Schwabenkinder angeschaut und daraus Wanderwege in Oberschwaben, Vorarlberg, der Schweiz, Liechtenstein und Tirol ausgearbeitet.

Durch die Teilnahme des Alten Pfarrhofs an diesem Projekt bestand für Liechtenstein die Gelegenheit, sich erstmals vertieft mit dem Phänomen Schwabenkinder auseinanderzusetzen und seine Aufarbeitung zu beginnen.

 

Erste Forschungsergebnisse zu liechtensteinischen Schwabenkindern wurden in der Ausstellung «Buab, ma duat di is Schwoobaland. Liechtensteinische Kinder als Schwabengänger» präsentiert, die von Juni bis Dezember 2012 im Alten Pfarrhof zu sehen war. Mit dieser Ausstellung wurde auch erstmals das Thema «liechtensteinische Schwabenkinder» einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Schwabenkinder aus Liechtenstein

Liechtenstein gehörte bis ins 20. Jahrhundert zu den ärmsten Ländern Mitteleuropas. Armut und Arbeitsmangel zwangen jährlich mehrere Hundert Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner dazu, vorübergehend in der Fremde Arbeit zu suchen. Spätestens seit Anfang des 19. Jahrhunderts waren auch Kinder darunter.

 

Die bisherige Auswertung von Quellen, vor allem Reisepassverzeichnisse und Schuldispensen aus Liechtenstein, zeigten unter anderem Folgendes:

 

Aus allen liechtensteinischen Gemeinden sind Schwabenkinder bekannt. Bei einigen Familien waren bereits ein Elternteil oder andere Verwandte auch Schwabenkinder.

 

Gewisse Kinder wurden nicht nur einmal nach Oberschwaben verdingt, sondern bis zu vier, fünf Jahre hintereinander.

 

Das bisher jüngste bekannte Schwabenkind aus Liechtenstein war 5 Jahre alt.

 

Während von Vorarlberg, Tirol und Graubünden bekannt ist, dass die Kinder in grösseren Gruppen von einer erwachsenen Person nach Süddeutschland geführt wurden, scheinen die liechtensteinischen Kinder eher in Kleingruppen unterwegs gewesen zu sein, wobei ältere Geschwister, ein Elternteil oder Bekannte als Begleitung mitkamen.

 

Die Schwabengängerei aus Liechtenstein endete nicht mit dem Ersten Weltkrieg, wie bis anhin angenommen, sondern erst danach: Das letzte bisher bekannte liechtensteinische Schwabenkind erscheint 1920 in den Akten.

 

Auch die Vermutung, dass während des Ersten Weltkriegs keine Kinder nach Süddeutschland geschickt wurden, musste revidiert werden: So sind für die Jahre 1915 und 1916 knapp 50 Schuldispensen belegt. Ein weiterer Beleg dafür ist der Erlebnisbericht von Lorenz Eberle aus Triesenberg, der 1915 als 13-Jähriger zu einem Viehhändler nach Reute bei Lindau kam. Für diesen musste er unter anderem das Vieh neben einem Soldaten-Exerzierplatz hüten.

 

Die Zahl der liechtensteinischen Kinder, die seit spätestens Anfang des 19. Jahrhundert bis nach dem Ersten Weltkrieg nach Oberschwaben zogen, um sich als saisonale Arbeitskräfte an die dortigen Bauern zu verdingen, wird auf mehrere Hundert, wenn nicht gar über Tausend, geschätzt.

Zwei Erlebnisberichte aus Liechtenstein

Zeitzeugenberichte von Schwabenkindern sind sehr selten. Von liechtensteinischen Schwabenkindern sind bis anhin zwei Zeitzeugenberichte bekannt, und zwar die aufgeschriebenen «Erlebnisse eines Schaanerbuben im Schwabenland 1912» von Hans Wenaweser und eine Tonbandaufnahme von Lorenz Eberle aus Triesenberg.

 

Hans Wenaweser kommt 1900 als zweitältestes von insgesamt 12 Kindern in Schaan auf die Welt. 1912 ermuntert ein älterer Schaaner, der im Schwabenland bereits als Knecht gedient hat, Hans Wenaweser und zwei gleichaltrige Kollegen ins Schwabenland zu gehen. Er kommt dann mit 12 Jahren auf einen Bauernhof in Obermeckenbeuren und bleibt dort für eine Saison. Im Alter von 81 Jahren schreibt er seine Erlebnisse als Schwabenkind auf, die 1991 als «Erlebnisse eines Schaanerbuben im Schwabenland 1912» veröffentlicht werden.

Lorenz Eberle kommt 1902 als zweites von vier Kindern in Triesenberg zur Welt. 1915, mitten im Ersten Weltkrieg, wird Lorenz Eberle als Schwabenkind zu einem Viehhändler nach Reute bei Lindau verdingt. Mit 75 Jahren nimmt er seinen Lebenslauf auf Tonband auf, u.a. auch seine Erlebnisse im Schwabenland.

Literaturhinweise

Allgemein:

  • Bauernhaus-Museum Wolfegg (Hg.): Die Schwabenkinder. Arbeit in der Fremde. 17. bis 20. Jahrhundert. 2. erweiterte Auflage. Ostfildern 2016.
  • Bereuter, Elmar: Die Schwabenkinder. Die Geschichte des Kaspanaze. München 2004. (Roman)
  • Bereuter, Elmar: SchwabenkinderWege. Oberschwaben. Rother Wanderführer. München 2011.
  • Bereuter, Elmar: SchwabenkinderWege. Schweiz und Liechtenstein. Rother Wanderführer. München 2013.
  • Bereuter, Elmar: SchwabenkinderWege. Vorarlberg mit Grenzgebieten Tirol und Liechtenstein. Rother Wanderführer. München 2012.
  • Lampert, Regina: Die Schwabengängerin. Hg. v. Bernhard Tschofen. Zürich 2010.
  • Seglias, Loretta: Die Schwabengänger aus Graubünden. Saisonale Kindermigration nach Ober­schwaben. Chur 2004.
  • Uhlig, Otto: Die Schwabenkinder aus Tirol und Vorarlberg. 4. Auflage. Innsbruck 2003.

 

Auf Liechtenstein bezogen:

  • Burgmeier, Georg: «Buab, wänn d ned folgescht, duat ma di is Schwoobaland». Saisonale Kinderwanderung aus Liechtenstein nach Oberschwaben, in: Balzner Neujahrsblätter 2013, S. 44–53.
  • Burgmeier, Markus: Liechtenstein, in: BauernhausMuseum Wolfegg (Hg.): Die Schwabenkinder. Arbeit in der Fremde vom 17. bis 20. Jahrhundert. 2. erweiterte Auflage. Ostfildern 2016. S. 42–47.
  • Burmeister, Karl Heinz: «Buab, ma tuat di is Schwoobaland». Schwabenkinder in Liechtenstein. In: Oehri, Herbert (Hg.): Menschen, Bilder und Geschichten. Mauren von 1800 bis heute, Bd. 2, Mauren 2007. S. 44–72.
  • Burmeister, Karl Heinz: Schwabenkinder, in:  Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), Stand 31.12.2011.
  • Vogt, Paul: Brücken zur Vergangenheit. Ein Text und Arbeitsbuch zur liechtensteini­schen Geschichte 17. bis 19. Jahrhundert. Vaduz 1990. S. 147–151.
  • Wenaweser, Hans: Erlebnisse eines Schaanerbuben im Schwabenland 1912. In: Freude dem Alter. 35 Jahre «Aktion Freude dem Alter» in Schaan und Planken 1955–1990. Eine Erinnerungsschrift. Schaan 1991. S. 87–96.